Warum es in Deutschland zwei Kassensysteme gibt
Vor über 135 Jahren schlug die Geburtsstunde der gesetzlichen Krankenversicherung, wie wir sie heute kennen. Dem Reichskanzler Otto von Bismarck (1815–1898) verdanken die Deutschen damit nicht nur die Abschaffung der Kleinstaaterei und die Gründung eines vereinten Deutschen Reiches im Jahr 1870/71. Auch die Einführung der Sozialversicherung, der Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung, geht auf ihn zurück. 1883 verabschiedete der Reichstag das „Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter“. Damit wollte Bismarck nach eigenem Bekunden vor allem den stärker werdenden Sozialdemokraten, die sich für die Rechte der Arbeiter einsetzten, entgegentreten und den Wind aus den Segeln nehmen. Im Dezember 1884 wurde das Gesetz dann eingeführt.
Zunächst finanzierte sich die Absicherung zu einem Drittel aus den Beiträgen der Arbeitgeber, und zwei Drittel mussten die Arbeitnehmer beisteuern. Die Leistungen aus der Versicherung umfassten die ärztliche Behandlung sowie eventuelle Medikamente. Auch Krankengeld wurde bereits gezahlt. Die Allgemeinen Ortskrankenkassen entwickelten sich. Etwa zehn Prozent der Bevölkerung waren damals pflichtversichert, so das Bundesgesundheitsministerium. Heute sind es 88 Prozent, was 73 Millionen Menschen entspricht.
1717 entstand die erste Fabrikkasse
Was kaum bekannt ist: Fast 170 Jahre vor Einführung der gesetzlichen Versicherung sorgten sich bereits die ersten Unternehmer um das Wohl ihrer Mitarbeiter. Schon 1717 wurde die erste Fabrikkasse in Deutschland im Blaufarbenwerk Pfannenstiel im sächsischen Aue gegründet. Vordergründig als Maßnahme, um die gut ausgebildeten Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden. Denn zu jener Zeit wechselten Arbeitnehmer häufig ihren Job, wenn der Lohn bei einem anderen Arbeitgeber höher war. So übernahmen die Unternehmer Arzt- und Medikamentenrechnungen, zahlten den Lohn im Krankheitsfall und sicherten Angehörige ab. Diese Bemühungen mündeten oftmals in den Betriebskrankenkassen, die sich damit weit vor der Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung herausbildeten.
Im Jahr 1908 gab es laut Wikipedia 7718 Betriebskrankenkassen. Nur Mitarbeiter der jeweiligen Betriebe mit regelmäßig über 1000 Mitarbeitern konnten sich dort versichern. Wer diese Möglichkeit nicht hatte, wurde in den Allgemeinen Ortskrankenkassen versichert. Die Betriebskrankenkassen sind übrigens Träger der gesetzlichen Krankenversicherung und als Körperschaften des öffentlichen Rechts konzipiert.
Auch die Gilden, Zünfte und Innungen der Händler und Handwerker sorgten sich in früheren Zeiten um ihre Mitglieder. Da sich diese Zusammenschlüsse schon im Mittelalter bildeten, reichen die Wurzeln der entsprechenden Innungskrankenkassen ebenfalls so weit zurück. Seit der Einführung der freien Krankenkassenwahl sind die Innungskrankenkassen von 150 im Jahr 1995 auf sechs im Jahr 2018 geschrumpft. Sie gehören, wie die Betriebskrankenkassen, zur gesetzlichen Krankenversicherung.
Private Krankenversicherung von Fabrikarbeiter begründet
Nicht ganz so weit zurück wie die Bildung der Betriebskassen, aber ebenfalls vor Gründung der gesetzlichen Krankenversicherung, liegt die Schaffung der privaten Krankenversicherung. Bereits im Jahr 1843 gründeten Arbeiter selbst für ihre Absicherung in Nürnberg einen Krankenunterstützungsverein für Tabakfabrikarbeiter. Maßgeblich für diesen Schritt verantwortlich war Georg Heine, selbst Fabrikarbeiter. Später wurde daraus der Krankenunterstützungsverein für Fabrikarbeiter und nach ein paar weiteren Jahren der Nürnberger allgemeine Kranken-Unterstützungsverein. Heute ist die damit älteste private Krankenversicherung unter dem Namen Universa bekannt.